Dienstag, 27. September 2011

Wir helfen doch gern

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Was der Papst für Merkel, Rösler und Co, ist die Eurokrise für US-Präsident Obama. Etwas Ablenkung kann auf jeden Fall nicht schaden.
Seit neuestem hat Obama nämlich Angst und zeigt mit dem Finger auf Europa. Trotz seiner Behauptung, diese Angst sei in den Problemen Griechenlands und der Euro-Krise begründet, ist es für einen vernünftig denkenden Europäer ziemlich offensichtlich, dass er eher Angst vor seinen eigenen Landsleuten hat. Die sollen ihn nämlich bald wieder wählen. Jedoch hat der Demokrat Obama momentan kaum gute Argumente, die seine Wiederwahl in einem zunehmend unregierbaren Land rechtfertigen würden. Die US-Wirtschaft stürzt von einer Katastrophe in die nächste: vor kurzem noch konnte man die Zahlungsunfähigkeit der Weltmacht USA abwenden, da gibt es doch wirklich dreiste Rating-Agenturen im eigenen Lande, Nestbeschmutzer sozusagen, die die Kreditwürdigkeit des Landes in Frage stellen und gar abwerten. Zudem machen die Republikaner ihrem Hassgegner Obama bei jeder Gelegenheit das Leben und vor allem seine Präsidentschaft so schwer wie möglich, insofern sei ihm ein Lichtblick gegönnt. Wenn man verzweifelt ist, schiebt man nun mal gern den schwarzen Peter einem anderen zu, auch wenn die künstlich verschaffte Verschnaufpause nur von kurzer Dauer ist und man damit die Länder eines ganzes Kontinents gegen sich aufbringt.
Mr Obama, Sie und Ihre Regierung mögen das exzessive Drucken von Dollarscheinen ohne vorhandenen Gegenwert und die Anhäufung weiterer Schuldenberge für die Lösung aller Probleme halten. In Europa dagegen versuchen wir aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Inflation und Schulden halten wir für kurzsichtig, stattdessen diskutieren wir lieber die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und die Einbeziehung der Banken als Teil einer möglichen Lösung des ganzen Schlamassels. Ein Schlamassel, übrigens, der durch die verantwortungslosen Machenschaften amerikanischer Banken überhaupt erst entstehen konnte.
Wir helfen jedoch gern. Wenn Ihnen solche Ablenkungsmanöver für die gefrässigen Medien und Ihre launischen Wähler genügend Luft verschaffen, um Ihre Position im eigenen Lande gegenüber den streitlustigen Republikanern wieder etwas zu stärken, dann bitte. Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. Vielleicht könnten Sie morgen die Menschenrechtslage in China ansprechen. Damit wäre wahrscheinlich ein weiterer Tag gewonnen. Die Russen brauchen danach bestimmt auch Ihren Rat, was demokratische Wahlen und so angeht. Ach, da lassen sich noch genug finden, denen Sie ungefragt Ihre zweifellos gut gemeinten Ratschläge geben können. Auf ein Neues!

Freitag, 23. September 2011

Zwischen Popst und Politik

Mindestens zwei deutsche Politiker werden Gott bzw. seinem Vertreter auf Erden, dem Papst, für dessen Besuch in Deutschland für immer und ewig dankbar sein: nach Wochen, gar Monaten negativer Medienberichte können Merkel und vor allem Rösler dank dem umstrittenen Papstbesuch endlich eine mediale Verschnaufpause einlegen. Endlich gibt es in der Presse mal ein anderes Topthema als Euro-Rettung und Regierungskrise. Man fragt sich schon, wo die beiden abgeblieben sind, so still ist es derzeit um sie geworden. Möglicherweise gibt es morgen in der Bild-Zeitung die ersten Schlagzeilen: "Skandal beim Oktoberfest: Rösler tanzt nackt mit Merkel auf den Tischen". Na dann Prost!
Dabei ist es schon erstaunlich, wie der Papst nach sechs relativ unspektakulären Amtsjahren die Gemüter der Deutschen plötzlich zu bewegen vermag. Ausgelöst durch die Einladung an den Papst, während eines Deutschlandbesuchs eine Rede im Bundestag zu halten, kündigten um die 100 Parlamentarier der Opposition an, die Rede zu boykottieren. Ein religiöser Würdenträger habe auf der weltlichen Regierungsbühne nichts zu suchen. Daraufhin konnten sich die christlichen (und etwas kleinlauteren liberalen) Regierungsparteien nach einer langen Durststrecke endlich mal wieder am vermeintlichen Fehlverhalten ihrer politischen Gegner gütlich tun. Immerhin ist der Papst ja auch das Regierungsoberhaupt des Vatikans und insofern auf jeden Fall berechtigt, den Bundestag mit seinen Sichtweisen zu erhellen. Und während der Papst eine unerwartet harmlose und im Hinblick auf die Erwartungen tatsächlich enttäuschende Rede vor den restlichen Regierungsvertretern und einem Haufen "Ehrenamtlicher" hielt, liefen 9000 Kirchenkritiker, Schwule, Lesben und Missbrauchsopfern auf einem Protestmarsch durch die Hauptstadt, um ihrem Unmut gegen den Papst Luft zu machen. Gegen seine Ignoranz gegenüber der Ökumene, seine Sanktionierung von Homophobie, seine Ablehnung von Kondomen als Schutz vor Geschlechtskrankheiten, seine Tatenlosigkeit gegenüber Missbrauchsopfern, kurzum gegen eine rückwärtsgerichtete katholische Kirche. Gekrönt wurde dann der gestrige Tag durch eine Messe der Superlative im Berliner Olympiastadion, die den Papst eher wie einen Popst(ar) inszenierte.

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Da wundert es kaum mehr, dass ein Teil der Berichterstattung nach tagelanger kritischer Betrachtung des Papstbesuchs nun nahezu missionarisch daher kommt. Ein Spiegel Online Artikel z.B. berichtet über einen Papst-Fan, der seinem vorherigen Lotterleben abgeschworen hat, um Priester oder gar Mönch zu werden, denn "Der Herr ist mit den Sündern". Bei Zeit Online wird "mit dem Papst" gefeiert und ausschließlich die Glückseligkeit von singenden Jugendlichen, gottesfürchtigen Müttern und sogar von frommen Schaulustigen in einer Neuköllner Kirche beschrieben, die alle nur das eine wollen: den Papst mit eigenen Augen sehen und eine Messe mit ihm erleben. In einem anderen Zeit Online Bericht kommt die Redakteurin zu dem erstaunlichen Schluss "Auch Päpste können vernünftig sein" und erteilt den Papstkritikern, die sie "Dogmatiker aller Lager" nennt, eine fette Absage. Der Papst hätte im Bundestag ein "einsichtiges, sachliches, bescheidenes, versöhnliches, kluges – mit einem Wort: vernünftiges Auftreten" an den Tag gelegt und zwei "ganz große Menschheitsthemen" in seiner Rede in den Mittelpunkt gestellt. Vernunft und Gerechtigkeit, das sind in der Tat wichtige Themen, jedoch hat eine philosophische, mit Bibelzitaten gespickte Abhandlung über diese Begriffe und ihr Verständnis nichts zu tun mit der Realität in der modernen Welt: wo ist die Vernunft in der Verdammung von Kondomen als Verhütungsmittel, wenn es im religiösen Afrika kaum kontrollierbare Überbevölkerung, Hungersnöte und Millionen AIDS-Infizierte gibt? Worin besteht die Gerechtigkeit, wenn katholische Priester sich an ihren Schützlingen vergehen? Was haben heutzutage Vernunft und Gerechtigkeit mit Homophobie und der vermeintlich "natürlichen Stellung der Frau" zu tun? Das päpstliche Verständnis dieser beiden Werte, Vernunft und Gerechtigkeit, ist nun mal geprägt von dem Jahrtausende alten und mittlerweile extrem realitätsfernen Dogma der katholischen Kirche und hat in diesem Sinne im politischen Alltag der modernen Welt keine Relevanz. Zumindest solange, bis die katholische Kirche, allen voran der Papst, ihre philosophischen Gedankengänge endlich mit den realen Problemen in der Welt verknüpft und zu wahrhaft vernünftigen Schlussfolgerungen kommt: der offene und willkommene Dialog der Kirche mit anderen Konfessionen, kostenlose Verhütung für alle, die es nötig haben, Gleichberechtigung von Homosexuellen und Frauen in der Gesellschaft und der Kirche und Entschädigungen für diejenigen, die von katholischen Priestern missbraucht und gequält wurden.
Zum Glück gibt es genügend Redakteure bei Zeit, Spiegel, Stern und Co, die die Ereignisse mehrdimensionaler betrachten können und interessante Interviews und Berichte schreiben. Besonders der Witz über die Toleranzprobe des Papstes hat es mir angetan: "Benedikt trifft in Berlin auf einen katholischen Geschiedenen, eine protestantische Pfarrerstochter und einen schwulen Bürgermeister". Gemeint sind natürlich Bundespräsident Wulff, FRAU Kanzlerin Merkel und Berlins SCHWULES Oberhaupt Wowereit. Die Ironie dieser Begegnungen versöhnt mich dann schon wieder, obgleich die offensichtliche Heuchelei, die dahinter steckt, fast das nächste Fass zum Überlaufen bringt.
Es ist aber beruhigend zu wissen, dass nächste Woche wieder alles beim Alten sein wird: Merkel und Schäuble gegen Rösler und Seehofer, Opposition gegen Regierungsparteien, Herbst gegen Spätsommer, Europa gegen den Rest der Welt. Es bleibt spannend.

Mittwoch, 21. September 2011

Was hat Gott damit zu tun?

Dass die USA seit geraumer Zeit massive Probleme hat, sowohl innen-, finanz- als auch außenpolitisch, ist nun wahrlich kein Geheimnis. Man mag es auf den 11. September schieben oder vielleicht doch eher auf Bush's Reaktion darauf, Fakt ist allerdings, dass sich die goldenen, weltherrschaftlichen Zeiten des nordamerikanischen Staates dem Ende zu neigen. Nicht zuletzt weil erzkonservative, reaktionäre und bibelfeste Kräfte innerhalb des Landes clever genug sind, die Ängste und Sorgen der Bevölkerung bzw. die Ängste und Sorgen der größten Wählerschicht für ihre Zwecke zu nutzen. Nehmen wir Rick Perry, Republikaner mit Leib und Seele und erbitterter Gegner Obamas:
Rick Perry denkt... Bildquelle

Eine allgemeine Krankenversicherung? No way, das ist für die Mittelschicht zu teuer! Dafür gibt es zu viele Arme und Kranke im Land. Das geht nicht. Besser das bleibt ein Privileg für diejenigen mit genug Geld, um sich Gesundheit leisten zu können.
Finanzmarktregulation durch eine weltweite Finanztransaktionssteuer? Oh my God, völlig ausgeschlossen. Die armen Spekulanten, die armen Banken, sollen sie denn wirklich bluten für den Unfug, den sie die ganze Zeit an den Börsen treiben? Nein, das können wir nicht verantworten! Wer bezahlt uns denn sonst unseren Urlaub auf Hawaii?
Eine Reichensteuer? Are you crazy? Ist Obama womöglich zu den Kommunisten übergelaufen? Was hat Gleichberechtigung im Steuerrecht zu suchen? Nee, nee, nee, so ein populistischer Mumpitz geht doch auf keine Kuhhaut. Am Ende sollen die Senatoren und Regierungsabgeordneten ebenfalls die erhöhten Steuersätze zahlen und das damit verdiente Geld wird für soziale Projekte ausgegeben. Phah!
Palästina in der UNO? Unthinkable! Denkt nur an die ganzen Terroristen, die dort für die Unabhängigkeit ihres Staates von Israel kämpfen. Diese Palästina-Kuschelpolitik ist doch nur darauf aus, den Gaza-Streifen endlich zu befrieden. Aber wer kauft dann unsere hochmodernen Waffen? Wer braucht uns dann noch als Verbündeten und Schützenhilfe in letzter Not? Achso ja, Afghanistan, Irak und so. Aber mal ehrlich, wir lieben es doch, wenn sich alle miteinander streiten. Wir sind doch so gern der lachende Dritte. Unter den Umständen, lieber nicht. Lieber wieder mit Israel, dem Oberstreithahn, kuscheln. Das bringt mehr Freude und mehr Profit!
Nun gut, wenn's denn unbedingt sein muss, machen wir zumindest dieses eine Zugeständnis: Schwule und Lesben im US-Militär dürfen sich ab jetzt offen zu ihrer sexuellen Neigung bekennen, ohne Angst haben zu müssen, gefeuert zu werden, wie die 14.000 ehemaligen Armeeangehörigen, die seit 1993 aufgrund ihrer sexuellen Vorlieben den Dienst quittieren mussten. Don't ask, don't tell war gestern, aber sagt nicht, wir hätten euch nicht gewarnt! Denn jetzt wo jeder kann, wie er oder sie will, machen die das vielleicht auch noch ganz offen. Sex überall! Sodom und Gomorrha! Eieieieieiei, wir haben's doch gleich gewusst. Das wird böse enden. Gibt's nicht noch irgendwo einen Krieg, wo wir die alle hinschicken können?
Aber zum Glück haben wir die Tea Party, die wird das schon wieder richten. Wenn Obama erstmal besiegt ist, drehen wir alles wieder so hin, wie wir Republikaner das wollen. Das einzig Blöde ist, dass die Tea Party Weiber so OFFEN dumm sind und noch dazu weiblich! Nicht dass wir zu allem Übel noch eine weibliche Präsidentin bekommen!
OH MY GOD!

Freitag, 16. September 2011

Deutschlandtrend - Wie die Fähnchen im Wind

Glaubt man den Statistikern der ARD, die fleißig Daten sammeln und diese regelmäßig auswerten, schwingen einige Deutsche - aktuell immerhin 2 Prozent, was einer Zahl von ca. 120.000 Wahlberechtigten entspricht - wie die Fähnchen im Wind hin und her. Hin zur Antipathie und her zur erneuten Sympathie mit der FDP. Abhängig ist das vom launischen Hauch, der aus der FDP-Zentrale in der Hauptstadt weht. Ist man dort gerade eins oder uneins mit dem Koalitionspartner CDU? Ist man diese Woche für oder gegen Eurorettung durch Griechenlandhilfen, Steuererhöhungen oder Sparmaßnahmen?

Bildquelle: Tagesspiegel und DDP
Rösler, Lindner und Co., die jungen Wilden mit liberalem Schlips, Kragen und vollmundig leeren Phrasen, haben sich offenbar momentan zum wiederholten Mal dazu entschieden, dem eigenen Regierungspartner Kontra zu geben und die aktuelle Griechenland-Debatte noch mehr mit medial ausgefochtenen Wortgefechten zu würzen. Der Grund: die stetig fallenden Umfragewerte der vergangenen Wochen, die kürzlich bis auf mickrige 3 Prozent gefallen waren.
Und diese neuerlich erworbene, Europa-kritische Haltung kommt an. Zumindest bei den zusätzlichen 2 Prozent der Befragten, die die liberale Partei wieder auf dem richtigen Kurs wähnen. Wohin allerdings führt dieser Kurs? Dabei muss man womöglich unterscheiden zwischen dem erwünschten und dem reellen Ziel. Ersteres ist vielleicht die Weltherrschaft, letzteres aber auf jeden Fall die politische Disqualifikation durch unberechenbare Manöver, die national und international zu unnötigen Turbulenzen führen.
Zugegeben, an dieser Fähnchen-Krankheit, die nicht nur die FDP-Wähler sondern auch die Partei selbst befallen hat, leiden viele Parteien. Eigentlich alle Parteien, die je an der Regierung beteiligt waren, sind oder sein werden. Die meisten jedoch können die Symptome etwas abschwächen und somit ihre Glaubwürdigkeit besser schützen: z.B. durch weniger bzw. seltenere drastische Kurs- und Meinungswechsel. Mediale Bescheidenheit könnte gelegentlich auch helfen, wobei das böse B-Wort sicherlich nicht Teil des politischen Verständnisses der Liberalen ist.
In Zukunft wird sich wohl jede Regierungspartei genau überlegen, mit wem sie sich verbündet, um gemeinsam Politik zu machen. Die FDP wird sicherlich niemand mehr zu Koalitionsgesprächen einladen. Dafür, Herr Rösler, haben Sie sich höchstselbst zu danken. Ich gratuliere.